Dienstag, 5. Januar 2010
Eigenarten
Wenn du mir deinen Rücken zudrehst, deinen schönen kalten Rücken, dann weiß ich nie, was ich sagen soll, ich weiß nicht einmal, was ich mir denken soll. Weil ich auch nie so genau weiß, was du denn gerade denkst, was du mir denn eigentlich damit sagen willst, wenn du mir deinen schönen kalten Rücken zudrehst. Manchmal überlege ich mir, dass du das vielleicht gar nicht mit Absicht tust, dass es nur eine deiner spröden Eigenarten sein könnte, die aber nichts bedeutet, zumindest nichts wichtiges, nichts, das mir etwas sagen soll. Ich würde dann gerne mit meinen Fingerspitzen deinen Nacken berühren, mit meinen Fingerspitzen deinen Haaransatz ganz sanft hinauf fahren und über den Ohren den Druck etwas verstärken, ein wenig nur, aber ich traue mich nicht, meine Hände heben sich und wollen dir und deinem Rücken und deinem Nacken entgegen kommen, aber auf halber Strecke bleiben sie stecken, auf der Höhe deiner Schultern und noch ein paar Zentimeter davon entfernt, dich zu berühren. Und du siehst es nicht, du siehst nicht, dass ich dich berühren möchte und es aber nicht kann, weil mir irgend etwas die Bewegung meiner Hände einfriert, du kannst nicht sehen, dass ich versuche mich dir zu nähern, denn du hast mir deinen schönen kalten Rücken zugedreht, und der Blick deiner Augen aus dem Fenster heraus verläuft sich zwischen dem Parkplatz und der Allee, und ich würde ihn gerne einfangen, diesen Blick, ich würde ihn mir gerne holen und ihn in meine Augen legen, würde ihn gerne lenken können, damit er nicht von mir weg, sondern zu mir her sieht, aber zwischen mir und deinem Blick liegen meine Hände, die sich nicht bewegen lassen und dein schöner kalter Rücken.
Und das alles, es ist überhaupt nicht schlimm, es macht überhaupt gar nichts aus, solange es nur eine deiner spröden Eigenarten ist, die aber nichts bedeutet, zumindest nichts wichtiges, nichts, das mir etwas sagen soll.

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Donnerstag, 24. Dezember 2009
Novembermorgen
Als hätten sie seine Manteltaschen mit Steinen gefüllt. Als seien seine Augen leere Vogeleier, sein Mund selbst der verklemmte stumme Schrei, der es aus sich selbst heraus nicht geschafft hatte. Seine Hände liegen neben seinem Körper, als gehörten sie ihm nicht, als gehörten sie nicht zu ihm, weich und doch angestrengt verbogen in ihrer Blässe, beide Mittelfinger abgewinkelt, als wollten sie auf etwas zeigen, auf etwas hinweisen, auf das Letzte oder Erste, das hätte wichtig sein können.

Ich habe noch nie zuvor in meinem Leben einen Toten gesehen. Meinen Großvater durfte ich nicht sehen, ich sei zu klein dafür, hatten sie gesagt, ich dürfe ihn nicht zu Gesicht bekommen, weil er mich ängstigen würde, und ich war sehr klein damals, ich war sehr klein, aber ich weiß noch, schon damals dachte ich, mehr als lebend könne er mich nicht erschrecken, der alte wütende Großvater mit seinem zitternden verkniffenen Mund und dem stets zum nächsten Schlag bereit erhobenen Arm, und ich hörte, als sie dachten ich könne es gerade nicht hören, da hörte ich wie sie sagten, es sei gut dass es ihn nicht mehr gebe, denn jetzt könne er keinem der Kinder mehr weh tun, er könne sie nicht mehr verängstigen. Und ich verstand nicht, warum ich ihn nicht sehen durfte, aber ich konnte auch nicht fragen, denn sie wussten nicht, dass ich sie gehört hatte.

Und jetzt liegt also dieser Mann vor mir auf dem Kies, und ich kann mir nicht so wirklich vorstellen wie er dahin gekommen ist, wie er auf den Kies gespült wurde, hier genau vor meine Füße an diesem kalten Novembermorgen, als sei er aus dem Rhein gestiegen, um sich hier hin zu legen, so liegt er da, als habe er sich selbst aus dem dunkelgrauen Wasser gezogen und es sich bequem gemacht, als sei er erst dann gestorben, nur seine Hände, die konnte er wohl nicht mehr richtig hinlegen, für seine Hände hat er keinen Platz mehr gefunden, genau so sieht es aus. Sein Gesicht ist ganz weiß und aufgedunsen, seine Augen starren halbgeöffnet irgendwo in das trübe Nichts eines Himmels, der selbst noch nicht so recht weiß, ob er hell werden soll oder nicht, und ich frage mich ob ich dem Verlangen nachgeben darf, ihm die Haare zu ordnen, sie sind so wirr und dunkelgrau wie das Wasser, und ich denke mir, dass sie bestimmt auch so kalt sind wie es das Wasser sein muss, das Wasser an diesem dunkelgrauen Novembermorgen, an dem man Stunden damit zubringen kann, auf den Sonnenaufgang zu warten, und man bemerkt nicht, dass es schon längst passiert ist, dass die Sonne schon längst aufgegangen ist.

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Samstag, 17. Januar 2009
Die Erkenntnis des letzten Menschen
Ich fließe in den Wogen der Zeit, war ihr Anfang, bin ihr Ende.
Jede Lüge beginnt und endet durch mich, und nur der Narr befindet sich nicht auf der Flucht vor mir.
Wer in meine Augen schaut, erschrickt, weil Erkenntnis ihn blendet.
Ich bin die Schwester des Schmerzes und die Tochter des Seins; und trotzdem wäre nichts ohne mich.
Ich bin bitterer als der Tod und stecke ganz tief in ihm – doch wer mich kennt, hat seine Lektionen gelernt.
Die Trauer ist mir wohl bekannt, aber erinnert mich an nichts; die verzweifelte Suche nach mir spiegelt sich in jeder Seele.
Ich trage alle Wasser ins Meer und vertrockne auf dem Weg.
Mal tragen Dämonen, mal Engel mein Körnchen – und der letzte Mensch fällt weinend vor mir zu Boden.
Wer kennt mich nicht und was ich mit mir bringe.

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Sommersonnenduft
Fast schon bald schon Sommersonnengefühl auf bloßen Schultern nackten Beinen blanker Haut auf der der zarte Wind der auch schon nicht mehr kühl sein darf spazieren geht sich den hübschesten Weg entlang streicht und sanft die warme Bräune küsst die aus dem Innern tief und von dem Außen hoch sich ran schleicht und fest einschlägt längst erwartet freudig begehrt sowieso unlängst erwünscht herbeigesehnt entgegengeblickt mit großen blank leuchtenden Augen offenem Mund gespreizten Fingern bis es kitzelt zwischen den Zehen als sei es Sand und Meer und mehr und der Geruch der starke Duft auf deinem Arm von deinem Bauch neben deinem Ohr strömt so intensiv hinter meinen geschlossenen Augen durch die Spitzen meiner Finger vorbei an der Stelle an der du mich am schönsten findest verläuft weiter so tief in mir so zart durch dich und langsam sehr langsam wird klar warum die Welt sich dreht die Zeit vergeht obwohl sie jetzt ja gerade jetzt entschied doch entschied anzuhalten sich umzuschauen durchzuatmen kurz zu lächeln und dann geht es eben weiter doch du liegst immer noch bei mir immer noch mit mir zusammen mit deinem Sommersonnenstrahlenduft der in meiner Nase kitzelt wie auf meiner Haut deine süßen Härchen und der Sommersonnenduft.

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